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Wege aus der Uniformität

Otl Aichers Leitsysteme für Flughäfen, U-Bahn-Stationen und Krankenhäuser gelten nach wie vor als beispielhaft

Logo und Elemente des Leitsystems der metro bilbao © HfG-Archiv / Museum Ulm, HfG-Ar Ros Abz 750-11 (1)

Die von Otl Aicher entwickelten Leitsysteme sind in keinem Fall bloße Aneinanderreihung von Schriften und Schildern, sondern stets Teil eines ausgeklügelten Corporate Designs. Im Zusammenspiel mit den Verkehrsanlagen werden sie sogar zu ästhetischen Ensembles.

Auf dem Weg durch einen Flughafen etwa oder beim Besuch eines Krankenhauses möchte niemand das Gefühl haben, verloren zu sein. Angenehm ist es, willkommen zu sein und sich auf dem richtigen Weg finden. Ein klug gestaltetes Leitsystem kann das Leben erleichtern, Wege optimieren und Ziele sichtbar machen. Bei der Entwicklung von Leitsystemen sind viele Aspekte bedeutsam: Wichtig für die Verständlichkeit sind kognitive Faktoren wie Informationsverarbeitung und Entscheidungsfindung. Emotionen spielen ebenfalls eine Rolle. Damit beeinträchtigte Personen ein Leitsystem gleichberechtigt mit allen anderen nutzen können, ist Barrierefreiheit entscheidend. Grundlage für die Planung eines Leitsystems ist zuvörderst das Nutzungskonzept des Betreibers, beispielsweise einer Verkehrs- Service- oder Sozialeirichtung. Bereits die Architektur kann die Funktion von Gebäuden und Baukörpern sichtbar machen.

Bei seinen Corporate-Design-Projekten beschäftigte sich Otl Aicher intensiv mit der Geschichte wie mit Werten eines Unternehmens. Auch kulturelle, soziologische Aspekte und nicht zuletzt die Umwelt bezog er in den Entwurfsprozess ein. Für ihn war dies die Voraussetzung, um ein Leitsystem oder ein Logo entwickeln zu können, das einem Unternehmen in visueller Form identitätsstiftend entspricht.

Vier umfangreiche und für Aicher typische Leitsysteme stehen hier im Fokus: die Wegleitung durch den Flughafen Frankfurt (1972) ebenso die Orientierungssystem durch das Alfried Krupp-Krankenhaus in Essen (1980), dessen Umsetzung Aicher bis zur Fertigstellung begleitete. Erst nach Aichers Tod wurden der Flughafen München II (1992) sowie die Metro Bilbao (1995) eingeweiht, an deren Leitsystemen er maßgeblich mitwirkte.

Verbunden mit fernen Ländern – Flughafen Frankfurt am Main

Als im März 1972 im Südwesten von Frankfurt der Neubau des „Terminal Mitte“ in Betrieb ging und mit ihm das von Otl Aicher entwickelte Leitsystem für den Flughafen, war dieser einer der größten internationalen Flughäfen der Welt. Fliegen wurde zu dieser Zeit populär. Eine Kapazität von 30 Millionen Fluggästen sollte der Rhein-Main-Airport durch den Ausbau bewältigen können, vierzehnmal mehr als noch 1960.

Anforderungen, die eine komplexe Flughafenarchitektur von Alois Giefer und Hermann Mäckler an Orientierung und Wegführung stellte, löste Otl Aicher durch eine farbliche Gliederung. Die drei Fluggastbereiche für Abflug und Ankunft wurden in drei Hallen mit den Buchstaben A, B und C gekennzeichnet und durch ein farbiges Leitsystem überschaubar in unterschiedliche Nutzungsbereiche gegliedert: Blau für alle Belange des Flugverkehrs, Grün für sekundäre Dienstleistungen wie Toiletten, Schließfächer, Apotheken et cetera und Weiß für kommerzielle Einrichtungen wie Geschäfte und Gastronomie. Kommerzielle Werbeflächen, eine anwachsende visuelle Konkurrenz, trennte Aicher räumlich von den Elementen des Leitsystems und beschränkte sie zudem im Format.

Emailschilder, zwei Piktogramme des Leitsystems für den Flughafen Frankfurt, 54 cm mal 54 cm mal 2,8 cm, um 1972, Metallblech emailliert. © Quittenbaum / Florian Aicher

Ab Ende der Sechzigerjahre entwickelte Otl Aicher ein Repertoire von Piktogrammen, um den Besuchern der Olympischen Spiele in München die Orientierung zu erleichtern. Zugleich konzipierte er das Leitsystem für den Flughafen Frankfurt mit weiteren Piktogrammen. © ERCO / Lizensierung: Stiehl/Over/Gehrmann

Emailschilder, zwei Piktogramme des Leitsystems für den Flughafen Frankfurt, 54 cm mal 54 cm mal 2,8 cm, um 1972, Metallblech emailliert. © Quittenbaum / Florian Aicher

Ab Ende der Sechzigerjahre entwickelte Otl Aicher ein Repertoire von Piktogrammen, um den Besuchern der Olympischen Spiele in München die Orientierung zu erleichtern. Zugleich konzipierte er das Leitsystem für den Flughafen Frankfurt mit weiteren Piktogrammen. © ERCO / Lizensierung: Stiehl/Over/Gehrmann

Das Alphabet als Ordnungsprinzip: Die Fluggastbereiche für Abflug und Ankunft hat Aicher mit den Buchstaben A, B und C gekennzeichnet. © HfG-Archiv / Museum Ulm, Ai_D_3085

Das Alphabet als Ordnungsprinzip: Die Fluggastbereiche für Abflug und Ankunft hat Aicher mit den Buchstaben A, B und C gekennzeichnet. © HfG-Archiv / Museum Ulm, Ai_D_3085

Verbote wurden durch die Farbe Rot gekennzeichnet. Im Straßenverkehr der Umgebung wiesen grüne Schilder den Weg zum Flughafen. Das Leitsystem war gesetzt in der Univers 55. Es war zweisprachig (deutsch/englisch), um die Orientierung für die internationalen Fluggäste weitgehend sprachunabhängig zu ermöglichen, wurden insgesamt 95 Piktogramme entworfen. Parallel zum Frankfurter Leitsystem-Auftrag arbeitete Aicher als Gestaltungsbeauftragter für die Olympischen Spiele 1972. So entstanden die Piktogramme für Frankfurt zusammen mit jenen für München.

Als erstes Element des Corporate Designs wurde 1971 das Logo des Rhein-Main-Flughafens veröffentlicht, bandförmig und zusammengesetzt aus zwei blauen Farbstufen. Um 1990 koordinierte Michael Peters, damals Geschäftsführer einer Tochtergesellschaft von Flughafen und Messe Frankfurt, die Erneuerung und Erweiterung des Leitsystems auf Basis von Aichers Konzept. Mittlerweile war der Flughafen räumlich gewachsen, und die Passagierzahlen hatten stark zugenommen. Nach dem Konzept des Verhaltensmarketings von Werner Kroeber-Riel erforschte Peters tatsächliche Bewegungen der Nutzenden und optimierte das bestehende System. Die von Aicher stark eingehegten kommerziellen Anbieter sollten nun Teil der Gesamtsystematik werden. Vermittelt durch Anton Stankowski und Karl Duschek, mit denen Peters zuvor das Frankfurt Messe-Logo und Leitsystem entwickelt hatte, kam er mit Aicher in Kontakt. Der wollte die Überarbeitung nicht mehr selbst übernehmen und empfahl einen Schweizer Kollegen, der das Projekt realisierte.

Entwicklung von text- zu piktogrammbasierten Leitsystemen, sowie es Aicher skizziert hat © HfG-Archiv / Museum Ulm

„Der Patient im Mittelpunkt“ – das Beispiel Alfried-Krupp-Krankenhaus

Vor allem der Krankenpflege galt das soziale Engagement des Schwerindustrie-Unternehmens Krupp in Essen. Zu diesem Zweck gründete der Konzern Ende des 19. Jahrhunderts ein Werkskrankenhaus, das sich ab 1920 „Kruppsche Krankenanstalten“ nannte und heute Alfried Krupp Krankenhaus heißt. Die medizinische Fürsorge und Gesundheitspflege führt die „Alfried Krupp von Bohlen und Halbach Stiftung“ fort, wie 1980 deren Geschäftsführer Berthold Beitz in dem Buch „Ein Krankenhaus stellt sich vor“ das Engagement des Unternehmens auf die Formel brachte: „Der Patient steht im Mittelpunkt“. Das entsprach der damals geführten Diskussion über das „humane Krankenhaus“. Die bislang herrschende Klinikatmosphäre sollte mit Hilfe des Designs durch ein Hotelambiente ersetzt werden. Das Personal am Empfang etwa war zivil gekleidet.

Aichers Leitsysteme sind stets Bestandteil des gesamten visuellen Erscheinungsbildes eines Unternehmens, vor allem auch seiner Architektur.

Beitz und Aicher hatten sich durch ihre Arbeit für die Olympischen Spiele 1972 kennengelernt. Beitz war Mitglied des NOC, Aicher Gestaltungsbeauftragter der Spiele. Beide stimmten darin überein, den Auftrag für das Leitsystem des Krupp-Krankenhauses weit zu fassen, als eine „Architectural Corporate Identity“. Neben dem Leitsystem beinhaltete der Auftrag ein Farbkonzept für das Gebäude sowie die Auswahl und Gestaltung von Fußbodenbelägen, der Möblierung, Beleuchtung und des Geschirrs.

Otl Aicher konzipierte sein Farbkonzept basierend auf der von dem Frankfurter Architekturbüro Wörner + Partner entworfenen Anlage des Klinikgebäudes in Essen-Rüttenscheid. Auf zwei großflächigen Sockelgeschossen als Behandlungsbereich steht der achtgeschossige dreiflügelige Pflegekomplex. Die Struktur des Gebäudes, das 1980 eingeweiht wurde, gliederte Aicher, indem er jeweils einem Flügel eine Farbe und einen Buchstaben zuordnete. Ebenso verfuhr er beim verbindenden Kernbereich.

Farbkonzept des Leitsystems für das Alfried Krupp Krankenhaus 1980; Aus: "Ein Krankenhaus stellt sich vor" © Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung

Auch Piktogramme des Krankenhauses gestaltete Otl Aicher. Auf erhaltenen Entwurfsblättern ist seine analoge Arbeitsweise noch heute anhand von Bleistiftstrichen und Abklebungen nachvollziehbar.

Das Logo überarbeitete Otl Aicher für die „Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung“, auch um es vom Firmensignet der damaligen Kapitalgesellschaft Fried. Krupp AG deutlich unterscheidbar zu machen.

Aichers Leitsystem wie auch das Logo sind noch immer Bestandteil des visuellen Erscheinungsbildes des Alfried-Krupp-Krankenhauses in Essen. Im Zuge der Sanierung des Gebäudes im Jahr 2008 hat Designer Michael Göke das Leitsystem weitergeführt.

Analoger Entwurf und Varianten des Piktogramms "Krankenschwester" © HfG-Archiv / Museum Ulm

Analoger Entwurf und Varianten des Piktogramms "Krankenschwester" © HfG-Archiv / Museum Ulm

Flughafen München – der Airport als ästhetisches Ensemble

Immer mehr schienen sich im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts große Infrastruktureinrichtungen einander zu ähneln. Dem Trend hin zu globaler Uniformität widersetzte sich Otl Aicher bei seiner Arbeit für den neuen, von Hans-Busso von Busse entworfenen Flughafen München II, indem er Bezüge aus Region und unmittelbarem Umfeld ins Leitsystem integrierte.

Seine Erkundungen im Erdinger Moos führten zu Skizzen und ersten Ideen hinsichtlich der Landschaftsplanung. Gleichzeitig war Aicher die ökologische Problematik des Projektes bewusst, für das er als Designer arbeitete. Die aufkommenden Zweifel hinderten ihn jedoch nicht, 1974 den Auftrag für die Gestaltungsrichtlinien des Flughafens anzunehmen. Doch trugen sie 1985 zu seinem vorzeitigen Ausstieg bei. Aichers langjähriger Projektpartner Eberhard Stauß aktualisierte 1987 die zuvor erstellten Gestaltungsrichtlinien. Ihm wurde in der Folge die Designkoordination des gesamten Projekts übertragen, Aicher blieb als Designberater einbezogen.

Das Planungsteam entwarf ein variables, aber kohärentes Designkonzept aus wenigen kombinierbaren Konstanten für die Gebäude des Flughafens. Das System zieht sich durch: Einheitliche Gestaltungselemente finden sich in der Landschaftsgestaltung, in der lichtdurchfluteten Architektur, beim Design der Innenräume und -höfe wie beim Leitsystem. Der Leitsatz „Einheit in Vielfalt“ eröffnete den jeweiligen Planern Freiräume, die zu einem einheitlichen Erscheinungsbild führten.

Komponenten wie Landschaftselemente, Brücken, Brückengeländer, Straßenbeleuchtung, Beschilderung, Werbeträger bis hin zu Armaturen und Fahrzeugen, Dienstkleidung galt es zu entwickeln, wozu Farben, Schriften, Piktogramme, Formen und Materialien definiert wurden.

Als die grundlegende Form der Gestaltung des Flughafens wurde das Quadrat gewählt, durch Aneinanderreihungen zu einem Raster erweitert. Doch es ließ sich auch durch Diagonalen teilen, woraus eine geometrische Schlüsselstruktur von Elementen aus 45 und 90 Grad resultiert. Der 45-Grad-Winkel findet sich als Gestaltungsmittel in den Abzweigungen zu den Terminalvorfahrten und benachbarten Gebäudeteilen, ebenso in den Rohrfachwerkträgern, die die Flughafengestaltung prägen.

Das Rastersystem wird bis in den Außenbereich weitergeführt. Hier kommt es zu einer reizvollen Überlagerung der Rastergestaltung der Architektur mit der parallelogrammartigen Anordnung der Bepflanzung auf dem Gelände, die die bestehende Landschaftsstruktur von Baumgruppen und Entwässerungskanälen des Erdinger Moos wieder aufnimmt. Die flachen langgestreckten Flughafengebäude korrespondieren dabei mit der offenen und flachen Moorlandschaft. Die Landschaftsarchitekten Günther Grzimek und Eberhard Krauss hatten dafür gesorgt, dass sich die Architektur des Flughafens in das artifizielle Gliederungsprinzip der Kulturlandschaft des Erdinger Moos perfekt einpasste.

Leitsystem und Architektur Flughafen München, 1995 – Das Spiel des orthogonalen mit dem dazu diagonal angeordneten quadratischen Raster. Foto: Claus Michael Semmler

Das Logo „M“ für den Flughafen München hatte Otl Aicher zunächst für die Olympischen Spiele 1972 konzipiert. In einer Größe von sechs Metern im Quadrat begrüßte es Fluggäste bereits an der Hauptzufahrt auf freistehenden Elementen aus Rohrfachwerkträgern. 2013 wurde das M der Betreibergesellschaft durch einen farblich kontrastierenden „Slash“, einen „Connector“ abgeändert. Kritiker halten das neue Signet für visuell „instabil“ und bezweifeln, dass es lange Bestand haben wird.

Aicher leitete den Farbraum für den Münchener Flughafen, den er aus Hellblau, Weiß und Silber konzipierte – ähnlich den Farben für die Spiele von 1972 – aus den natürlichen Farben ab, wie sie in Oberbayern anzutreffen sind. So lehnt sich Grün an die Landschaft des Erdinger Moos an. Zugleich soll es ökologische Rücksichtnahme belegen – ein Flughafen im Grünen. Das Weiß entspricht traditioneller Baukultur von Häusern und Kirchen der Region. Es taucht bei zentralen Gebäuden der Passagierabfertigung auf. Blau zitiert die im Gegenlicht stehende blaue Bergkulisse ebenso wie das Blau der Ferne oder den Föhnhimmel von Oberbayern. Hellblau mit weißer Schrift prägt das Leitsystem im Passagierbereich. Das Silber lässt sich mit den alu-silbrigen Flugzeugrümpfen assoziieren wie mit dem silbernen Licht im Winter. Mit einem leichten Grau dominiert es die Gebäude der übrigen Betriebsbereiche.

Farben aus den Parametern Technik, Landschaft, Kultur und Winter; aus Gestaltungsrichtlinien M Heft 5 (Flughafen München) 1982 © HfG-Archiv / Museum Ulm, Otl Aicher

Farben aus den Parametern Technik, Landschaft, Kultur und Winter; aus Gestaltungsrichtlinien M Heft 5 (Flughafen München) 1982 © HfG-Archiv / Museum Ulm, Otl Aicher

U-Bahn Bilbao – von der Metro zur regionalen Identität

Bereits in der Ausschreibung für den Bau des U-Bahnsystems der Stadt verfolgte die baskische Regierung ein klares Konzept: Über die technische Funktion des Metro-Systems hinaus sollte der Entwurf herausragende Architektur und Ingenieursleistung zu einer ästhetischen Einheit fügen.

Das Corporate Design sollte wichtiger Bestandteil von Norman Fosters Entwurf sein, mit dem er 1988 den Architekturwettbewerb für die Metro gewann. Bereits zu diesem Zeitpunkt umfasste sein Projekt Netzpläne, das Logo, das Bilbao-Rot, sogar eine Armbanduhr und die Ausgestaltung der U-Bahnstationen – nichts blieb dem Zufall überlassen.

© Foster + Partners

Logo und Elemente des Leitsystems der metro bilbao; © HfG-Archiv / Museum Ulm

© Foster + Partners

Logo und Elemente des Leitsystems der metro bilbao; © HfG-Archiv / Museum Ulm

Foto: unbekannt

Foto: unbekannt

Von Beginn an war Otl Aicher am Gestaltungsprozess beteiligt und stellte sich die Frage: „Was ist Bilbao?“ Er beschäftigte sich mit der Geschichte, der Geografie und der Kultur der baskischen Stadt. Er besuchte sie, um sie ganzheitlich zu verstehen. In Fahne und Wappen fand er die Farben Rot, Grau und Schwarz sowie Weiß und Grün, wobei Weiß und Rot auch im Stadtbild vorherrschenten. Dementsprechend wählte er Rot und Weiß ergänzt durch Grautöne als prägendes Farbschema für das Corporate Design der Metro.

Bilbao liegt in einem Flusstal in der Nähe der Biskaya-Bucht. Die Stadt ist von der Flusslandschaft geprägt, wird zur Metropole der Küstenregion. Wirtschaftlich und gesellschaftlich wandelte sich die dort traditionell industriell geprägte Zivilisation zu einer – wie Otl Aicher schrieb – physikalisch, chemisch und technisch orientierten Gesellschaft. Das Projekt, bei dem Foster und Aicher eng kooperierten, zielte ab auf eine Genesung der „erkrankten“ Industrieregion im Norden Spaniens.

Nachvollziehbar wird Aichers Arbeit anhand seiner drei „Ergänzungsstudien“:
In der ersten gibt es diagnostische Zeichnungen. Aicher identifizierte und überarbeitete historische wie zeitgenössische Symbole der Region. Zusätzlich entwarf er neue Zeichen und entwickelte daraus eine erweiterte Ikonografie. Diese Symbole sollten in Karten wie auch im Leitsystem Verwendung finden.

Mit einer Fotoreportage aus Panorama- und Luftbildaufnahmen zeigt Aicher in der zweiten Studie, wie Bilbao sich zur Region ausdehnt, weshalb er die gestellte Aufgabe eher als Regional- denn als Stadtplanung begriff.

Im dritten Dokument wird Bilbao mit wenigen Strichen skizzenhaft dargestellt, wie es nach dem Bau aussehen würde. Die U-Bahn sah er nicht allein als Ingenieursleistung, sondern als neues Netzwerk, das Bürger mit dem öffentlichen Raum und die Stadt mit dem Umland, der Natur, der Flussmündung, der Landschaft sowie dem Erholungsraum verbinden sollte.

Raster und Diagonalen als Mittel der Vereinfachung von geografischen Karten für Orientierungspläne © HfG-Archiv / Museum Ulm

Norman Fosters architektonischer Entwurf hebt die Form und Struktur halbkreisförmiger Tunnel als Gestaltungselement hervor. Sie resultiert aus der überwiegend unterirdischen Bauweise von Strecken und Bahnhöfen. Auch die Wegfindung sollte entsprechend klar und intuitiv sein.

Bis auf eine sind alle Stationen der ersten Strecke unterirdisch. Das Leitsystem beginnt auf Straßenniveau, verkörpert durch Eingänge in Form von verglasten stahlverstärkten Kreissegmenten, die aus dem Boden auftauchen und von den Bürgern Bilbaos nach dem Namen des Architekten liebevoll „Fosteritos“ genannt werden. Gekennzeichnet sind sie durch Metro-Logo und Orientierungspläne. Wege zu den Bahnsteigen sind einfach. Erst kurz vor der Bahnsteigebene kommt das minimalistische Leitsystem aus Karten und Aushängen zum Einsatz: Piktogramme dienen als Richtungshinweise; Stationsnamen sind auf auf roten Tafeln mit weißer Schrift zu lesen.

Foto: Ingrid Krauß, privat

Foto: Ingrid Krauß, privat

Nigel Young / Foster + Partners

Nigel Young / Foster + Partners

Im Entwurfsprozess näherte sich Aicher den Netzplänen durch Weglassen beim Nachzeichnen an – ein Raster aus Quadraten und Diagonalen diente im Hintergrund als Struktur. Das Ergebnis ist ein abstrakter Netzplan, der schnell zu erfassen ist.

Die drei sich überlagernden Ringe, das Logo der Metro Bilbao, entworfen zwischen 1988 und 1991, wurden zur Eröffnung 1995 zum offiziellen Signet erkoren. Laut Aicher sollen sie an den Tunnel erinnern, an Räder der Bahn und an Geschwindigkeit sowie an die Zonen des Ballungsraums, die die Metro verbindet: Stadt, Industrie und Flussmündung. Die unterschiedlich dicken Ringe sind Momentaufnahmen des Rades, während es sich nähert. Sie verstärken die Assoziation von Bewegung und Dynamik. Auf Rot sollten die Ringe in Weiß abgebildet sein. Auf Weiß sollten sie rot erscheinen.

Im Rahmen des Projektes entwarf Aicher zu seinen bestehenden Piktogrammen, speziell mit Bilbao identifizierte ikonografische Zeichen. Sie sollten parallel zum Design der Metro die regionale Identität der „Bahía Bilbao“ unterstützen. Die Verbindung von Stadt, Hafen, Industrie, Fluss und Küstenregion, die das Metrosystem Bilbao verkörpert, sollte auf diese Weise auch auf gesellschaftlicher Ebene verankert werden. Das Leitsystem der Metro Bilbao wirkt immer noch modern und frisch; es wurde von Hansjörg Brucklacher, dem einstigen Mitarbeiter von Otl Aicher in Rotis, erst im Jahr 1995 fertiggestellt.

Sehenswürdigkeiten und Landmarks als Symbole für eine neue Region © HfG-Archiv / Museum Ulm

Resümee

Die von Otl Aicher entwickelten Leitsysteme sind Teil eines Corporate Designs und Ausdruck einer Corporate Identity, in keinem Fall bloße Aneinanderreihung von Schildern. Die Verkehrsanlagen der U-Bahn Bilbao und des Flughafens München wurden zu ästhetischen Ensembles, weil die Entwürfe jeweils im Zusammenspiel von Architektur und Design entstanden. Dem Leitsystem kam von Beginn an wesentliche verbindende Aufgaben zu, um diese Einrichtungen optimal nutzen zu können. Voraussetzung dieser Meisterleistungen war eine gute interdisziplinäre Zusammenarbeit.

Aichers Denk- und Arbeitsweise wird im Entwurf der Piktogramme deutlich, die er in allen genannten Projekten nutzte. Sie zeigen, wie er den Blick aufs Detail richtete, ohne den Überblick zu verlieren. Ausgehend von einem Gestaltungselement behielt er das übergeordnete System im Auge. Auf diese Weise entstanden nicht nur einzelne Zeichen, sondern eine zusammenhängende Systematik.

Das ordnende System des Rasters aus Quadraten mit den entsprechenden Diagonalen setzte Aicher für Piktogramme und Schildermodule in der Architektur des Flughafens München ein. Hierbei entwickelte er auf Basis der Diagonalen im 45-Grad- Winkel ein weiteres Raster. Dies ist in den Terminalgrundrissen zu sehen, in der Anordnung der Fußbodenbeläge wie der Rohrfachwerkträger für die Schilder in den Terminals sowie an den Vorfahrten.

Interessant ist, wie er in unterschiedlichen Zusammenhängen Farben nutzt. Für den Flughafen Frankfurt wurde ein Farbsystem entwickelt, das die Informationen nach der damaligen Priorisierung gliederte und so die Komplexität der Architektur überschaubar machte, ebenso wie die Menge der Information für Nutzer. Im Krupp-Krankenhaus dient die Farbe zur räumlichen Orientierung und lässt eine lebendige Atmosphäre entstehen. Am Flughafen München übernimmt sie zusätzlich die Aufgabe, den Betriebsbereich vom öffentlichen Raum zu trennen. In Bilbao stiftet sie stadträumliche Zusammenhänge.

Die ortsgebundenen Funktionen der Leitsysteme, die Otl Aicher im Zusammenspiel mit seinem Büro entwickelte, sind durch heutige Navigations-Apps fürs Smartphone nicht zu ersetzen. Doch stellt sich die Frage, wie sich analoge und digitale Systeme künftig gegenseitig sinnvoll ergänzen können.

Claus Michael Semmler betreibt in Hamburg die Werkstatt für Kommunikationsdesign. Mit seinem Unternehmen entwickelt der Corporate-Designer unter anderem Leitsysteme, so etwa für die Parkhäuser am Hamburg Airport oder das Cruise Center Steinwerder.