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„Der Plüsch-Waldi stimmte hinten und vorne nicht”

Wie ein Dackel die Welt eroberte: Die einstige Aicher-Mitarbeiterin Elena Schwaiger über Plüschtiere, Fälschungen und das echte Maskottchen der XX. Olympischen Spiele in München

Foto: Alessandra Schellnegger

Elena Schwaiger (geb. Winschermann) zählte zum Team um Otl Aicher, das für die Gesamtgestaltung der XX. Olympischen Spiele in München verantwortlich zeichnete. Als Grafik-Studentin hatte sie dort 1968 ein Praktikum begonnen. Zusammen mit Aicher gestaltete sie das berühmte Maskottchen, den „Waldi”. Der bunte Hund folgte brav den bestehenden Gestaltungsvorgaben – und wurde in zahlreichen Varianten zum heiteren Botschafter eines neuen Deutschlands.

In Eva Mosers Aicher-Biografie erfährt man, dass es „Waldi” beinahe nie gegeben hätte. Ursprünglich sollte die Karikatur eines Oberbayern namens „Seppl” zum Maskottchen der Münchener Sommerspiele gemacht werden. Doch dann kam Willi Daume ins Spiel, Dackel-Besitzer und Präsident des Organisationskomitees. Bei einer Veranstaltung hatte er Félix Lévitan, dem Präsidenten des Internationalen Sportpresseverbandes, einen Rauhaardackel geschenkt. Für mich ist diese Geschichte kein plausibler Grund, warum man sich ausgerechnet für einen Dackel als Maskottchen entscheiden sollte.

Stimmt. Aber an dieser Entscheidung war ich nicht beteiligt. Uns war klar, es durfte kein Schäferhund sein, kein Löwe und kein Adler. Also kein Tier, das traditionell Macht und Stärke repräsentiert. Es kann sein, dass man einen Wettbewerb in einer Münchener Zeitung veranstaltete, nach dem Motto: „Was soll unser Maskottchen werden?” – Ich weiß es nicht mehr genau. Ich erinnere mich aber, dass auf diese Weise der Name „Waldi” eruiert worden ist.

Aicher kam also irgendwann auf Sie zu und sagte: Es soll ein Dackel werden.

Ja, genau.

Was waren Ihre ersten Gedanken?

Ich hatte keine besondere Beziehung zu Dackeln – die habe ich bis heute nicht. Aicher hat sich zu mir gesetzt und in etwa gesagt: „Probieren wir doch mal, wie man so einem Tier eine Norm verpassen kann.” Damit er immer gleich aussieht, in verschiedenen Größen und Materialien.

form-Cover der Ausgabe 1/1971, Zeichnung: Otl Aicher, Titelgrafik: Hanswerner Klein

Hier muss ich gleich mal einhaken. Die Idee der Normierung, der Einbettung des Waldi-Designs in das bestehende Erscheinungsbild und Farbspektrum der Spiele, wirkt aus heutiger Sicht schlüssig. Doch ganz so naheliegend ist diese Entscheidung gar nicht. Genauso gut wäre vorstellbar gewesen, ein vom Corporate Design losgelöstes Maskottchen zu entwerfen. Oder die Gestaltung von so etwas Banalem ganz abzulehnen, sie vielleicht gleich einem Spielzeughersteller zu übertragen.

Ich glaube, Aicher hat die Aufgabe gereizt, so ein komisches Vieh wirklich in die Gestaltungsrichtlinien hineinzupressen. Er hatte schon manchmal skurrile Ideen – das hat ihn einfach gejuckt, das zu machen.

Entwurf: Otl Aicher © Florian Aicher, HfG Archiv/Museum Ulm, IOC

Entwurf: Otl Aicher © Florian Aicher, HfG Archiv/Museum Ulm, IOC

Entwurf: Otl Aicher © Florian Aicher, HfG Archiv/Museum Ulm, IOC

Entwurf: Otl Aicher © Florian Aicher, HfG Archiv/Museum Ulm, IOC

So wurde „ein bunter Hund” kreiert – diese Redewendung schwingt ja hier mit. Der Waldi steht, wenn man so will, sogar in der Tradition des Expressionismus. Schon Franz Marc hat Tieren die ihnen nicht entsprechenden Farben gegeben. Waldis farbige Streifen waren eine Strategie, Aufmerksamkeit für eine vertraute Form zu erzeugen. Und er ist heute der einzige Entwurf, der in Bezug zum Funktionalismus und zur HfG Ulm steht, der Witz hat. Das Maskottchen zu branden war auch eine selbstironische Geste.

Genau das passte zu Aicher: Er hatte durchaus Humor, aber letztlich musste sich alles unterordnen, in ein System einfügen. Das war ihm unglaublich wichtig. Er wollte, was das Maskottchen betrifft, keinen Ausrutscher haben – nichts, das aus der Reihe fällt. Und es ging da auch um viel Geld. Der Waldi hat ja schon große Summen eingespielt. Aicher stand als Kopf der Abteilung 11 oft genug unter dem Zwang, etwas mehr oder weniger freiwillig gestalten zu müssen. Und auch die Juristen des Organisationskomitees saßen im Boot, wenn es darum ging, ob eine Waldi-Variante in Lizenz hergestellt werden durfte oder nicht. Da gab es hin und wieder Zoff – manchmal mussten Aicher oder ich ein Veto einlegen: „So geht das nicht, das können wir nicht machen.”

Es gibt ja vom Waldi etliche Farb-, Größen- und Material-Varianten, vom Plüschtier bis zum Dackel aus Gold. Etwa fünfzehn?

Ja, in etwa. Von einem Anhänger in Gold weiß ich nichts, der stammt nicht von mir. Und auch der Plüsch-Waldi war nicht von uns genehmigt. Der stimmte hinten und vorne nicht. In letzter Minute sind da Sachen auf den Markt gekommen, auch Raubkopien … das war nicht mehr zu kontrollieren. Ich erinnere mich auch an einen mundgeblasenen Waldi aus Glas, in den entsprechenden Farben.

Der Plüsch-Waldi. Foto: Gerrit Terstiege

Bis heute werden Repliken von Waldi hergestellt – aktuell wird zum Beispiel auf Ebay ein abfotografierter Dackel als Acrylglas-Aufsteller angeboten.

Es gibt ja niemanden mehr, der so etwas heute verfolgt. Da kann jeder machen was er will. Es tauchten auch vor ein paar Jahren Entwurfszeichnungen im Internet auf, die vertickt werden sollten. Da stand dann „Design: Elena Winschermann”. Aber die stammten weder von mir noch von Aicher. Das waren Fälschungen.

Haben Sie selbst denn noch Waldis zuhause stehen, eine eigene Sammlung?

Ich besitze noch den mit Leinenbezug, den aus Holz zum Zusammenstecken und ein paar kleine Anstecker. Aber ich bin keine Sammlerin, sondern neige eher dazu, Sachen wegzuwerfen. Ich hätte auch nicht gedacht, dass der Entwurf noch einmal interessant werden könnte. Und ich habe den Waldi nicht gesammelt, weil ich auch irgendwann die Nase voll davon hatte. Andere Dinge wurden mir wichtiger, das Leben ging weiter. (lacht)

Elena Schwaiger, geboren 1948 in Bad Homburg als Elena Winschermann, begann 1968 während ihres Grafik-Studiums an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig ein Praktikum in der von Otl Aicher geleiteten Abteilung 11 in München, die für das Erscheinungsbild der Olympiade 1972 verantwortlich war. Sie wurde anschließend von Aicher als Mitarbeiterin angestellt. Schwaiger wechselte 1973 mit Aicher nach Rotis, das sie ein Jahr später verließ, um sich gemeinsam mit ihrem Mann in München selbstständig zu machen. Das Grafikstudio Schwaiger-Winschermann blieb aber mit Aicher bis zu seinem Tod verbunden und übernahm auf seine Bitte hin zahlreiche Aufträge von ihm, darunter für die Aicher-Kunden BMW und Bayerische Rückversicherung.