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Reichhaltiger Fundus

Wie der Aicher-Nachlass ins HfG-Archiv / Museum Ulm kam

Der Werknachlass von Otl Aicher wurde im Sommer 1996 von der Familie Aicher-Scholl an das HfG-Archiv / Museum Ulm übergeben. Aus dieser umfassenden Sammlung stammen auch zahlreiche Dokumente dieser Website.

Als Otl Aicher im Sommer 1991 starb, blieb auf seinem Anwesen im Allgäu ein großes Archiv zurück, Hinterlassenschaft eines engagierten und erfüllten Lebens. Darin fanden sich unter anderem Dokumente aus dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus wie die ersten, mit Freunden unter dem Titel „Das Windlicht“ veröffentlichten Texte, Überlegungen zur Gestaltung des Lebens und der Gesellschaft in der unmittelbaren Nachkriegszeit, Dokumente zur Hochschule für Gestaltung, Aichers von sinnlicher Lust am Gestalten geprägte Plakat-Entwürfe für die Ulmer Volkshochschule, frühe Zeichnungen, Zeugnisse der Auseinandersetzung mit dem Philosophen Wilhelm von Ockham (unter anderem in Form einer Ausstellung) oder mit der Einrichtung der modernen Küche, die er als Werkstatt einer neuen Lebenskultur definierte, als „Küche zum Kochen“. Auch Unterlagen zum Engagement von Inge Aicher-Scholl und Otl Aicher in der Friedensbewegung, sowie Projektkisten und Präsentationsmappen, die Aichers Arbeit mit zahlreichen Firmen und Kulturinstitutionen der Nachkriegszeit belegen, waren umfassend gesammelt worden.

Grafikschrank mit Farbmustern aus dem Büro Aicher in Rotis, o.J. Foto: Oleg Kuchar © Florian Aicher Rotis, HfG-Archiv / Museum Ulm

Dem Verfall Einhalt gebieten

Im Sommer 1996 übergab die Familie Aicher-Scholl diesen Nachlass an das HfG-Archiv, eine Abteilung des Museum Ulm. Er umfasst die Korrespondenz zu rund 350 Projekten, 4.000 Plakate, 27.000 Entwurfsblätter, 30.000 Dias sowie zahlreiche Ausstellungstafeln, Fotos, Negative und Schriften. In den nun folgenden Jahren wurden die Materialien unter der Leitung der Kunsthistorikerin Andrea Scholtz konservatorisch gesichert und wissenschaftlich aufgearbeitet. Dabei galt es, das Material zu ordnen und mit ihren Informationen in einer Datenbank zu erfassen. Das war in den 1990er Jahren, als viele Archive noch mit den bewährten Karteikästen und -karten arbeiteten, absolutes Neuland.

Auch restauratorisch standen die Bearbeiterinnen im HfG-Archiv vor Herausforderungen: Die für Aicher typischen Präsentationsmappen etwa, 627 an der Zahl mit insgesamt 27.000 Blättern, waren vom Verfall bedroht. Die darin enthaltenen Entwürfe, Klebelayouts und Texte waren in den PVC-Klarsichthüllen untergebracht, und der darin enthaltene Weichmacher hatte sie bereits angegriffen; teilweise hatten die Blätter sich mit dem Kunststoff verbunden. Um diesem Verfall Einhalt zu gebieten, arbeitete das HfG-Archiv mit dem Studiengang für Buch- und Papierrestaurierung an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart zusammen. Unter der Leitung des Chemikers Gerhard Banik, der Professor am Institut für Technologie der Malerei und Lehrstuhlinhaber des Studiengangs „Restaurierung und Konservierung von Graphik, Archiv- und Bibliotheksgut“ an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart war, erarbeitete die Restauratorin Yvonne Gaborini im Rahmen ihrer Diplomarbeit ein Konzept für die Restaurierung, das dann auch umgesetzt wurde.

In den Schachteln rechts befinden sich die Grafiken, die aus den Präsentationsmappen herausgenommen wurden. Die Projektkisten links wurden im Büro Aicher angelegt, um Materialien zu den einzelnen Projekten zu verwahren. Foto: Oleg Kuchar. © HfG-Archiv / Museum Ulm

In den Schachteln rechts befinden sich die Grafiken, die aus den Präsentationsmappen herausgenommen wurden. Die Projektkisten links wurden im Büro Aicher angelegt, um Materialien zu den einzelnen Projekten zu verwahren. Foto: Oleg Kuchar. © HfG-Archiv / Museum Ulm

Geschichte erleben

Zudem wurden Recherchegespräche mit ehemaligen Mitarbeitern, Auftraggebern und Zeitgenossen geführt, um das Material angemessen einordnen zu können. Anfang der 2000er Jahre kam weiteres Material hinzu, dessen Aufarbeitung und Integration in den Bestand des Otl-Aicher-Archivs die Stiftung Kulturgut Baden-Württemberg großzügig förderte.

Das Aicher-Archiv ist in das HfG-Archiv integriert und im Gebäude der ehemaligen Hochschule für Gestaltung auf dem Ulmer Kuhberg untergebracht. Alle Materialien können im Rahmen wissenschaftlicher Arbeit eingesehen werden, die Publikationen Otl Aichers sind in einer Präsenzbibliothek zugänglich. Auf der Webseite des HfG-Archivs gibt ein digitales Findbuch über die Inhalte des Aicher-Archivs Auskunft: https://hfg-archiv.museumulm.de/wp-content/uploads/2020/06/09_aicher-neu.pdf

Diaschränke im Aicher-Archiv. Foto: Oleg Kuchar. © HfG-Archiv / Museum Ulm

Schatzkammer geöffnet

Darüber hinaus bietet das HfG-Archiv Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Studierenden und jedem interessierten Laien die Möglichkeit, sich mit der Geschichte der Ulmer HfG auseinanderzusetzen, an deren Gründung und Wirken Otl Aicher maßgeblich beteiligt war. Neben der Einsicht in die vielfältigen Archivmaterialien kann die historische Bibliothek der ehemaligen Hochschule sowie eine Sammlung aktueller Bücher und Zeitschriften zur Designgeschichte als Präsenzbibliothek benutzt werden. Auch die Nachlässe von ehemaligen HfG-Dozenten wie Walter Zeischegg und Tomás Gonda befinden sich inzwischen im HfG-Archiv, zudem zahlreiche kleinere Konvolute und Dauerleihgaben von ehemaligen HfG-Angehörigen.

Weitere Informationen, auch zu aktuellen Ausstellungen und Veranstaltungen im HfG-Archiv, finden sich auf der Webseite https://hfg-archiv.museumulm.de/.

Blick in den Benutzerraum des HfG-Archivs. Foto: Oleg Kuchar. © HfG-Archiv / Museum Ulm

Christiane Wachsmann ist Kuratorin und stellvertretende Leiterin des HfG-Archivs in Ulm. Nach einer Tischlerlehre studierte sie Architektur und Design an der Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart. Danach war baute sie das HfG-Archiv auf und leitete es von 1989 bis 1997, zudem war sie verantwortlich für seine Inventarisierung und Digitalisierung. Im Jahr 2018 publizierte Wachsmann das Buch „Vom Bauhaus beflügelt. Menschen und Ideen an der Hochschule für Gestaltung Ulm“.