Was ist aus Otl Aichers einstigem Domizil geworden? Ein Ortsbesuch im Allgäu.
Alphawölfe
Sie schufen die Signatur einer Epoche: die Gestalter Otl Aicher, Willy Fleckhaus, Anton Stankowski und Kurt Weidemann
Blicken wir zurück auf das deutsche Grafikdesign der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, sind es vier sehr unterschiedliche Persönlichkeiten, die – jeder auf seine Art – diese Zeit prägten: Otl Aicher, Willy Fleckhaus, Anton Stankowski und Kurt Weidemann.
Vergleicht man die Biografien dieser vier Designer, gibt es deutliche Parallelen: Aicher (1922–91), Fleckhaus (1925–83), Weidemann (1922–2011) und Stankowski (1906–98) wurden in jungen Jahren durch den Nationalsozialismus und ihre Teilnahme am Zweiten Weltkrieg geprägt. Während Aicher und Fleckhaus entschiedene Jungkatholiken waren und früh gegen das Naziregime opponierten, war Weidemann Kriegsfreiwilliger und Offizier an der Ostfront.
Aicher und Fleckhaus wurden als sehr junge Männer eingezogen. Aicher desertierte 1945, Fleckhaus kehrte im selben Jahr zurück nach Hause. Stankowski und Weidemann kamen erst nach mehrjähriger Kriegsgefangenschaft in der Sowjetunion frei. Fleckhaus versuchte sich in den ersten Berufsjahren als Mitarbeiter in einem Kunstverein und dann als Redakteur eines katholischen Jugendblattes, bevor er sich als Autodidakt der Gestaltung zuwandte. Stankowski, rund 20 Jahre älter als die übrigen, konnte an seine Tätigkeit als Gestalter in den 1930er Jahren anknüpfen. Weidemann machte eine Ausbildung als Schriftsetzer, bevor er Buchgrafik und Typografie studierte. Aicher versuchte sich ein Semester lang als Student der Bildhauerei in München, bevor er sich entschieden der Gebrauchsgrafik zuwandte.
Allen gemein war die Kriegserfahrung, die daraus resultierende Erkenntnis, dass ein Neubeginn notwendig war und ein großer Hunger nach Leben. Zu diesem Neubeginn trugen sie alle auf sehr unterschiedliche Weise bei im Bereich der ›Gebrauchsgrafik‹, der ›Reklame‹, dem ›Umbruch‹, wie es noch in den Fünfzigerjahren hieß. Ab den Sechzigerjahren sprach man von Grafik Design, Visueller Kommunikation oder Art Direction. Und diese Männer hatten entscheidenden Anteil an diesem Umbruch. Damit haben sich die Gemeinsamkeiten der vier aber auch erschöpft. Attraktiver ist es, sich die Unterschiede der Charaktere, der Temperamente und ihrer grafischen Vorlieben vor Augen zu führen.
Der Erfinder: Anton Stankowski
Anton Stankowski, oder »Stanko«, wie seine Freunde ihn nannten, hatte in den Zwanzigerjahren bei Max Burchartz an der später als Folkwangschule bekanntgewordenen Handwerker- und Kunstgewerbeschule Grafik, Typografie und Fotografie studiert. Frühe Arbeiten des jungen Stankowski zeigen den Anspruch, seine Themen äußerst prägnant zu formulieren: knapp in der Form, kurz im Text und expressiv im Bild. Typografie, Grafik und Fotografie wurden von ihm zu attraktiven Collagen verdichtet.
Von 1929–34 arbeitete Stankowski in Zürich im renommierten Reklameatelier von Max Dalang und gehörte dem Kreis der Künstler an, die eine „Konstruktive Grafik“ propagierten. Nach der Rückkehr aus der Gefangenschaft 1948 war er mehrere Jahre als Schriftleiter, Grafiker und Fotograf für die Stuttgarter Illustrierte tätig, bevor er 1951 sein eigenes Atelier in Stuttgart eröffnete. Stankowski war in den folgenden zwei Jahrzehnten als Maler und Designer gleichermaßen erfolgreich.
Anton Stankowski, Prospekttitel für Deutsche PH-Leuchten, Karlsruhe, 1929 © Stankowski-Stiftung
Grafisches Atelier Anton Stankowski, Schriftzug Viessmann, 1965, Plakatausstellung 2006, Stuttgart
Das Logo der Deutschen Bank (1974) ist sicherlich sein bekanntestes Werk mit dem von den einen als aufstrebende Bilanz, von anderen als Schlitz einer Spardose gedeuteten Balken im Quadrat. (Kaum einer weiß, dass Stankowski und Duschek eigentlich dabei an ein Flugzeug gedacht hatten, denn dieses Zeichen hatten sie so schon kurz zuvor erfolglos dem Flughafen Stuttgart als Marke vorgeschlagen und es für den Wettbewerb der Deutschen Bank aus der Schublade gezogen.)
Die Wortmarke Viessmann (1960) integriert durch das Übereinanderstellen der beiden »S« einfach und prägnant den Unternehmenszweck Heiz- und Klimatechnik. 1969 gewann Stankowski den Wettbewerb um das Erscheinungsbild der Stadt Berlin mit dem heute legendären „Berlin-Layout“, das allen Medien einen sehr einfachen, flexiblen und dabei charakteristischen modernen Gestaltungsraster zugrunde legte.
Grafisches Atelier Anton Stankowski, Manual zum Berlin-Layout, 1971 (2. Auflage) © Stankowski-Stiftung
Grafisches Atelier Anton Stankowski, Entwurf für ein Logo des Flughafens Stuttgart, 1969 © Stankowski-Stiftung
Grafisches Atelier Anton Stankowski, Manual zum Berlin-Layout, 1971 (2. Auflage) © Stankowski-Stiftung
Grafisches Atelier Anton Stankowski, Entwurf für ein Logo des Flughafens Stuttgart, 1969 © Stankowski-Stiftung
Stankowski + Partner, Konstruktionszeichnung zum Logo der Deutschen Bank, 1973 © Meike Gatermann und Stankowski-Stiftung
Bereits kurz nach dem Einstieg von Karl Duschek 1972 in das Atelier von Stankowski übernahm dieser 1974 die Leitung des Designbereichs, während sich Stankowski zunehmend der Malerei widmete. Gemeinsam entwickelten sie Markenzeichen für die Messe Frankfurt (1983) oder die Deutsche Börse (1995). Dass viele der vor Jahrzehnten entworfenen Markenzeichen bis heute unverändert oder nur moderat angepasst verwendet werden, zeugt von der hohen Qualität der Entwürfe. Zum Beispiel kann Stankowskis Bildmarke für den Rat für Formgebung (1960) noch über 60 Jahre später den Anspruch der Institution glaubwürdig vertreten: »Design macht Marken stark und Unternehmen erfolgreich«.
Grafisches Atelier Anton Stankowski, Wortmarke für den Deutschen Werkbund, 1963 © Stankowski-Stiftung
Grafisches Atelier Anton Stankowski, Wortmarke für den Deutschen Werkbund, 1963 © Stankowski-Stiftung
Grafisches Atelier Anton Stankowski, Signet Rat für Formgebung, 1960 © Stankowski-Stiftung
Was war das Rezept von Stankowskis großem Erfolg? Es gelang ihm aus einfachsten Formen wie Kreis, Quadrat, Dreieck und den Grundfarben gleichsam klare und prägnante Zeichen zu entwickeln, die sich in einer zunehmend komplexeren Welt der Sechziger- und Siebzigerjahre klar vom Wettbewerb absetzten. Zudem waren diese Zeichen in Zeiten ansteigender Internationalisierung über Ländergrenzen und Sprachbarrieren hinweg verständliche Signale, die die Unternehmen, die sie als Markenzeichen nutzten, sichtbar machten und damit als Zentrum ihrer Markenbotschaft dienten. Einmal antwortete Stankowski auf die Frage, was er am liebsten mache: »Erfinden! Neue, mir noch nicht geläufige Kombinationen, Formen und Vorgänge darstellen, Vorgänge, die man nicht abbilden kann.«
Der große Kommunikator: Kurt Weidemann
Der Designszene ist Kurt Weidemann auch heute noch vertraut. Bis vor einigen Jahren gab es kaum eine Preisverleihung, kaum eine Diskussionsrunde, bei der er nicht auf dem Podium saß mit Hut, roten Sneakern, dem um den Hals baumelnden Lorgnon und einem frisch gezapften Pils vor sich. Weidemann war Zeit seines Lebens ein meinungsfreudiger und streitlustiger Zeitgenosse, der sich zu allem gerne und gerne auch ungefragt äußerte und keinem Konflikt aus dem Weg ging. Sein gestalterisches Werk ist überschaubar, der Designhistoriker Eckhard Neumann sagte einst etwas sarkastisch über sein Werk, man könne es »in einer Telefonzelle ausstellen«.
In den Sechzigerjahren entwarf er die Marke für die Konsumgenossenschaft co op. In der Präsentation für das Markenzeichen erläuterte Weidemann, die drei Buchstaben c, o und p seien »asoziale Zeichen«, weil sie in sich abgeschlossene, runde Formen seien. Anders als das A, V, M oder auch das E hätten sie keine offene Seite. Die paradoxe Situation sei nun aber, dass das Kürzel „co op“ für das exakte Gegenteil stünde, nämlich für Kooperation. Die Lösung sei die Kombination der vier Zeichen in eine farbige Fläche. Dieses Beispiel zeigt schon früh, dass das Werk Weidemanns – der sich selbst auch als »Mietmaul« bezeichnete – nicht von seiner Persönlichkeit, nicht von seiner großen rhetorischen Begabung zu trennen ist.
Kurt Weidemann, Markenzeichen co op, ca. 1972 © Steffen Weidemann
Schriftsippe Corporate A-S-E, 1985–1989, Schnitt Antiqua Condensed Regular
Für Mercedes Benz, später den Daimler Benz-Konzern, war er als Berater für das Corporate Design tätig, entwarf verschiedene Markenschriftzüge und setzte die von ihm entworfene Schriftfamilie Corporate A-S-E als Hausschrift durch. Für die Buchstabenmarke der Deutsche Bahn gestaltete er 1993 ein umstrittenes Redesign. Mehr als die schlichte, unaufgeregte Form hatte die Argumentation Weidemanns gegen das seit 1955 eingesetzte Zeichen (es stammte von Eduard Ege) für Kritik gesorgt. Er sprach von zu vielen Rundungen und benannte diese näher: »Busenbogen«, »Hüftbogen« und »Schwangerschaftsbogen«. Gänzlich ungeeignet schienen ihm die »runden Ecken«, die »tiefenpsychologisch Entscheidungsschwäche« symbolisierten. Die Verwendung solcher Begriffe würde ihn heute zu einem Paria machen, verhinderte aber damals die Übernahme der neuen Marke nicht, die bis in die Gegenwart in ihrer zugegebenermaßen etwas blassen Erscheinung gültig geblieben ist.
Im Jahr 1990 überarbeitete er das Wappen und den Schriftzug der Sportwagenmarke Porsche. In diesem Zusammenhang wollte er das bis dahin für die Marke verwendete Bordeauxrot durch ein helleres Rot abgelöst sehen. Seine Begründung: »Kennen Sie den Unterschied zwischen arteriellem und venösem Blut? Das venöse Blut ist dunkler, fließt langsamer und transportiert all die Schadstoffe ab. Das arterielle Blut ist dagegen heller, fließt schnell und ist sauerstoffreich. Was verkaufen Sie eigentlich, meine Herren?« Offensichtlich verfing diese Art der Argumentation, die Marke wurde entsprechend geändert. Der Gestalter ließ sich seine Leistung vom damals finanziell klammen Sportwagenhersteller mit einem Carrera 4 honorieren.
Analyse des Bundesbahn-Signets, 1993 © Steffen Weidemann
Logo der Deutschen Bahn AG, 1993 © Steffen Weidemann
Weidemann war stets Typograf – den Bereich der Schriftgestaltung hat er gelegentlich verlassen wie bei der Gestaltung der Bildmarke für die Bankgesellschaft Berlin (um 1995). Doch es waren typographische Arbeiten, die ihn bekannt gemacht haben. Für eine konfessionsübergreifende Ausgabe der Bibel entwarf er die Schriftfamilie Biblica, die in kleinem Schriftgrad und mit geringer Laufweite eine gute Lesbarkeit beibehält; später kam sie als ITC Weidemann 1983 in den Handel. Als Buchgestalter entwarf er Bände für die Büchergilde Gutenberg und die Verlage Ullstein, Propyläen, Ernst Klett und Thieme.
Als Autor genießt Weidemann eine Alleinstellung in der deutschen Szene. Er publizierte regelmäßig in Magazinen und Zeitschriften, er schrieb Bücher und bezog immer wieder Stellung im Diskurs. Unter dem Titel »Holde und Unholde in der Typografie« kritisierte er 1960 im Börsenblatt des Deutschen Buchhandels die Dogmatiker der neuen Schweizer Typografie ebenso wie die Fraktion der typografischen Traditionalisten: »Wer sich in das eine Extrem strenggläubiger einarmiger Grotesksolisten oder in das andere mittelachsiger Mediävallyriker begibt, kommt leicht ins Unrecht. Unverständlich ist es mir immer, wie man sich freiwillig der Fülle der Ausdrucksmöglichkeiten begibt, sich sozusagen einen Arm abhackt und kategorisch mit dem anderen herumfuchtelnd ausruft: ›Seht einmal an, was ich noch alles damit machen kann!‹«
Der Autor dieses Beitrags zitiert im Gespräch mit Künstlern und anderen Gestaltern gerne diese kryptische Aussage von Kurt Weidemann, über deren Auslegung sich noch heute trefflich streiten lässt: »Der Künstler macht, was er will. Der Designer will, was er macht.«
Deutschlands erster Art Director: Willy Fleckhaus
Mit der Gründung von twen im Jahr 1959 fand Europa Anschluss an das Magazindesign der amerikanischen Ostküste. twen war ein neuer Typ Zeitschrift, der optisch in nichts vergleichbar war mit den bestehenden europäischen Blättern. Schon der schwarze Fond hob das Magazin aus der Masse der Illustrierten wie Stern, Spiegel oder Quick heraus, weiß leuchtend wie eine Neonreklame luden die vier massigen weißen Lettern im Kopf des Blattes zur Lektüre ein. Themen wie „Sechs Mädchen über Sex“, ›Liebe im Auto‹ oder ›Traumwagen‹ wiesen den Weg in konsumfreudige und hedonistische Jahre.
Willy Fleckhaus in seinem von Max Bill entworfenen Haus im Bergischen Land, Foto: Will McBride, © Will McBride Estate
Berechtigterweise nennt man Willy Fleckhaus auch „Deutschlands ersten Art Director“. Die Entwürfe des twen-Gründers und Art Directors Willy Fleckhaus waren final, die Redaktion wagte es kaum, seine mit Blindtext geklebten Layouts zu ändern. Nur so kamen die kaum knapper denkbaren Überschriften, jeweils bestehend aus drei oder vier Buchstaben, ins Blatt, wie ›Joy‹, ›Ehe‹ oder beispielsweise ›Mach‹, die Angabe der Geschwindigkeit von Überschall-Jets, die Fleckhaus als schmal-schwarzes Typogramm dem Kondensstreifen eines Flugzeugs gegenübergestellte. twen repräsentierte ein überwiegend unbeschwertes Lebensgefühl, das wenig mit der Lebensrealität der meisten deutschen Jugendlichen Ende der Fünfzigerjahre gemein gehabt haben dürfte. Aber gefragt war eben auch keine Wiedergabe des Alltags, sondern die idealisierte Vision einer nach neuen Ideen gierenden, liberaleren Gesellschaft. Folglich war für dieses erste deutsche Lifestylemagazin die richtige thematische und optische Rezeptur des bald schon monatlich erscheinenden Heftes von größter Wichtigkeit, damit aus den Zutaten Fotografie, Literatur, Pferdestärken, Stars, Liebe und Sex Monat für Monat ein sprudelnder, vielseitiger und faszinierender Themenmix hergestellt werden konnte. Fleckhaus legte höchsten Wert auf die Gestaltung attraktiver Doppelseiten und auf eine dramaturgische Inszenierung des Seitenablaufs.
Willy Fleckhaus Zeitschrift twen, Titel 1963 © Fleckhaus Now! Designforum (Inhaber Carsten Wolff), Frankfurt am Main
Willy Fleckhaus Zeitschrift twen, Titel 1959 Repro: Hans Döring
Willy Fleckhaus Zeitschrift twen, Titel 1963 © Fleckhaus Now! Designforum (Inhaber Carsten Wolff), Frankfurt am Main
Willy Fleckhaus Zeitschrift twen, „Mach“, 1960 © Fleckhaus Now! Designforum (Inhaber Carsten Wolff), Frankfurt am Main
Als Fleckhaus 1980 mit der grafischen Konzeption eines Supplements für die Frankfurter Allgemeine Zeitung beauftragt wurde, entfaltete er noch einmal sein großartiges Können. Er wählte wieder den schwarzen Fond für den Titel, dessen Gestaltung aber mutiger, spielerischer war als bei twen – aber immer wahrte das Magazin die gepflegte Erscheinung und den feinsinnigen Humor. Beim von Fleckhaus mitgegründeten deutschen Art Directors Club, dessen erster Präsident er gewesen war, hat er das Frankfurter Allgemeine Magazin nicht mal mehr eingereicht – vielleicht war er der Meinung, dass er genug Auszeichnungen erhalten hatte, denn »er lebte in Landschaften«, wie der Illustrator Heinz Edelmann anmerkte, »nicht in Annuals.«
Auch in der Buchgestaltung hat Fleckhaus tiefe Spuren hinterlassen. Mitte der 1950er Jahre hatte das Taschenbuch seinen Siegeszug durch die deutschen Buchhandlungen begonnen. 1961 war die in weißglänzende Einbände gehüllte Reihe des dtv, gestaltet von Celestino Piatti erschienen. Suhrkamp wollte diesem Markterfolg etwas noch Ambitionierteres gegenüberstellen: »ausschließlich zeitgenössische Literatur, möglichst Erstausgaben.« Mit dem Entwurf betraute er Willy Fleckhaus, der 1959 schon die Bibliothek Suhrkamp erfolgreich mit neuen Umschlägen versehen hatte. Fleckhaus schlug vor, dem dtv mit einem Design aus 48 Farben des Spektrums prägnant gegenüberzutreten. Die Vorderseite der Bände prägte ein minimalistischer Raster aus horizontalen Linien und dazwischen eine Typografie aus nur einer Schrift in einer Größe. So erschienen 1963 die ersten 20 Bände der edition suhrkamp, deren Zahl bis heute auf fast 2800 angewachsen ist. Die Werbegröße Wolf D. Rogosky schrieb 1997 für die Monografie des legendären Art Directors einen Brief, der in dem Postscriptum endete: »Deine Regenbogenreihe steht immer noch; sie ist inzwischen so groß geworden, daß Du sie wahrscheinlich von da oben sehen kannst.«
Willy Fleckhaus Umschlaggestaltung „edition suhrkamp“, ab 1963 © Fleckhaus Now! Designforum (Inhaber Carsten Wolff), Frankfurt am Main
Willy Fleckhaus, Frankfurter Allgemeine Magazin, Titel, 1983 Repro: Hans Döring
Willy Fleckhaus Umschlaggestaltung „edition suhrkamp“, ab 1963 © Fleckhaus Now! Designforum (Inhaber Carsten Wolff), Frankfurt am Main
Willy Fleckhaus Umschlaggestaltung „Bibliothek Suhrkamp“, ab 1959 © Fleckhaus Now! Designforum (Inhaber Carsten Wolff), Frankfurt am Main
Als Willy Fleckhaus 1983 auf seinem Anwesen in der Toskana einem Herzinfarkt erlag, trauerte die Medienwelt. Sie hatte einen der ganz Großen verloren, und die Trauer wurde vielleicht durch die Ahnung verstärkt, dass sich eine Ära unweigerlich ihrem Ende zuneigte. Wolf D. Rogosky schrieb in seinem Nachruf: »So einen hättet ihr gern wieder mal, gell? Da könnt ihr lange suchen.«
Was bleibt von den großen Vier? Stankowski wird für seine Markenzeichen gerühmt, Weidemann als Sprachrohr der Szene, Fleckhaus für sein Design von Magazinen und Büchern und Otl Aicher als der Wegbereiter eines systematischen Corporate Designs.
Der schwäbische Utilitarist: Otl Aicher
Nichts dem Zufall überlassen wollte Otl Aicher. Denkt man an sein Werk, hat man Rastersysteme, regelmäßige Formen und nüchterne, rational begründete Systeme vor Augen. Jahre vor Fleckhaus hatte Aicher den Schweizer Max Bill (1947) und über ihn den Gestaltungsraster kennengelernt, wie sich schon bald in Aichers Arbeit zeigen sollte.
Differenzen darüber, ob und wie sich das Lehrkonzept entwickeln sollte, führten 1957 zum Weggang Bills und zur Übernahme der Leitung durch das Rektoratskollegium bestehend aus Otl Aicher, Hans Gugelot, Tomás Maldonado und Friedrich Vordemberge-Gildewart. 1962 wurde Aicher alleiniger Rektor. Aicher schrieb: »es entsteht das ulmer modell: ein auf technik und wissenschaft abgestütztes modell des design, der designer nicht mehr als übergeordneter künstler, sondern gleichwertiger partner im entscheidungsprozess der industriellen produktion.« Vorhergehende Analysen, die rationale Begründbarkeit von Entwürfen und umfassende Konzepte wurden zur Basis aller Gestaltungsprozesse. Die intuitive Gestaltung, das Künstlerische wurde zurückgedrängt.
Von 1962 an entwickelte das hochschulinterne Entwicklungsteam E5 unter Leitung von Aicher das neue Corporate Design der Lufthansa. Aicher entwarf die Marke mit dem stilisierten Kranich, sein – auch aus heutiger Sicht – extremer Vorschlag, den Vogel durch einen schlichten Pfeil zu ersetzen, wurde zurückgewiesen. Die Gruppe entwickelte umfassende und neuartige Vorgaben für die für Prospekte, Inserate, Tickets, Schalter oder Uniformen und für alle Medien, mit denen Kunden oder Lieferanten in Kontakt kamen. sollte die Haltung, die Werte des Unternehmens zum Ausdruck bringen. Das »Erscheinungsbild« war damit von Aicher und dem Team ins Leben gerufen worden und damit ein bis heute gültiger Begriff geprägt.
Zunächst wollte Aicher den überkommenen Lufthansa-Kranich durch einen einfachen Pfeil ersetzen. © Florian Aicher, Rotis
Zunächst wollte Aicher den überkommenen Lufthansa-Kranich durch einen einfachen Pfeil ersetzen. © Florian Aicher, Rotis
Otl Aicher, Entwicklungsgruppe 5 (E5) Element des Lufthansa Erscheinungsbilds. Der Kranich, der auf einem Entwurf von Otto Firle aus dem Jahr 1918 basiert, wurde von Aicher verschlankt und mit einem Kreis gefasst, ca. 1965
Aicher beschäftigte sich intensiv mit der Entwicklung von Erscheinungsbildern. 1966 wurde Aicher zum Gestaltungsbeauftragten der Olympiade 1972 in München ernannt. Aicher, der staatliche Repräsentation abstoßend fand, wählte wenige helle Farben und strahlendes Silber – kein Rot, kein Gold. Alle Medien folgten einem strengen Raster. Ausschließlich die Univers kam als Schrift zum Einsatz. Für die Sportler und das Personal wurde eine den Gestaltungsprinzipien entsprechende Bekleidung entworfen und sogar Polizei und Militär wurden in Overalls gesteckt, um die »heiteren Spiele« möglichst unpolitisch und staatsfern erscheinen zu lassen.
Selbst das Maskottchen Waldi wurde von Aichers Büro entworfen und als Kuscheltier, Schlüsselanhänger und Holzspielzeug vertrieben. Schon in Masaru Katsumies Design für die Olympischen Spiele in Tokyo 1964 kamen Piktogramme zum Einsatz. Bei Aicher aber folgten sie nun einem einheitlichen Raster und führten damit zu formaler Einheit: Die Reduktion von Torsi und Extremitäten auf zwei Strichstärken, die Beschränkung auf drei Winkel (0°, 45° und 90°) und die Reduzierung des Kopfes auf eine Kreisfläche waren und sind in ihrer Einfachheit und Lesbarkeit‹ überzeugend. Mit wenigen, aber charakteristischen Formen wurden Sportarten wie Fußball, Tanz oder Radsport von Otl Aicher und seinem Mitarbeiter Gerhard Joksch in minimalistische Piktogramme übersetzt, die dem internationalen, vielsprachigen Publikum in München rasche und einfache Orientierung boten. Dieses leichte, lebensfrohe Erscheinungsbild trug wesentlich bei zum Erfolg der Spiele. Bis durch den tödlichen Anschlag von Palästinensern auf das israelische Team jegliche Heiterkeit erstickt wurde.
Sportpiktogramme für die Olympischen Spiele in München, 1970–71. © 1976 by ERCO, www.otl-aicher-piktogramme.de
Plakat für die XX. Olympischen Spiele in München, 1970 © Florian Aicher, HfG-Archiv / Museum Ulm
Sportpiktogramme für die Olympischen Spiele in München, 1970–71. © 1976 by ERCO, www.otl-aicher-piktogramme.de
© 1976 by ERCO, www.otl-aicher-piktogramme.de
Nach Abschluss der Arbeiten für die Olympiade verlegte Aicher sein Büro 1972 nach Rotis im Allgäu und entwarf und baute für sich und seine Bürogemeinschaft in den folgenden Jahren Atelierhäuser. Dort entstanden weitere Markenzeichen und umfassende Corporate Design-Systeme unter anderem für ERCO (1975), Bulthaup (1979), den Flughafen München (1979–85) oder FSB (1986). Eine Freundschaft entstand mit dem Architekten Norman Foster, der ihm den Auftrag für das Corporate Design der Metro Bilbao (1988) vermittelte.
1988 publizierte Aicher seine Fontsippe rotis, seinem Spleen der durchgängigen Kleinschreibung folgend erst spät um Großbuchstaben ergänzt. Erik Spiekermann schmähte die Chimäre aus Antiqua und Groteskschrift als »Kopfgeburt«, die schlechte Lesbarkeit und die eigenwillige Ästhetik führen bis heute zu Kontroversen. 1991 starb Otl Aicher an den Folgen eines Verkehrsunfalls, nach Norman Fosters Bericht auf dem Höhepunkt seiner Kreativität und Schaffenskraft. Der schwäbische Utilitarist Aicher hatte Ziel und Sinn seines Tuns einst auf die Formel gebracht: »Design ist Kunst in der zweiten Potenz. Man muss die Ästhetik mit Zweckerfüllung multiplizieren.«
Was bleibt vom Werk dieser vier außergewöhnlichen Gestalter? Stankowski wird für seine prägnanten Markenzeichen in Erinnerung bleiben, Weidemann vielleicht am ehesten als wortgewaltiges Sprachrohr der Szene, Fleckhaus für sein epochales Design von Magazinen und Büchern und Otl Aicher als der wichtigste Wegbereiter eines umfassenden, systematischen Corporate Designs. Und ein wenig Sentimentalität mischt sich in die Verehrung bei der Rückschau auf eine Epoche, in der das Grafikdesign Teil des gesellschaftlichen Diskurses war und in der öffentlichen Wahrnehmung und in den Medien eine substantielle Rolle spielte.
Carsten Wolff ist Gestalter und Autor. Er leitet Fine German Design, ein vielfach ausgezeichnetes Designbüro in Frankfurt am Main. Mit seinen Entwürfen für das Corporate Design von Frankfurt Airport setzt er die Arbeiten Aichers für den Flughafen fort. Mit der Fine German Gallery bietet er zeitgenössische Kunst online an. Als Autor hat er Bücher und Texte zum Grafikdesign und zur zeitgenössischen Kunst publiziert, darunter „Willy Fleckhaus. Deutschlands erster Art Director“. In seinem Blog 667.run nimmt er Stellung zu aktuellen Themen.
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Was ist aus Otl Aichers einstigem Domizil geworden? Ein Ortsbesuch im Allgäu
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